Holz erweckt Illusionen zum Leben

Die Täuschung im Bild «Der Gartenzaun» (l.) wird dank ausgeklügelter Holzmechanik deutlich. Bild: Beatrix Bächtold

Begreifbare Illusionen.  Künstler Sandro Del-Prete ist ein Meister der optischen Täuschung. Tüftler Fritz Kobel macht die Illusionen mit ausgeklügelten Holzkonstruktionen fassbar. Zu sehen ist das harmonische Zusammenspiel im Illusoria-Land im bernischen Hettiswil.

Zwischen Bern und Burgdorf liegt das 600- Seelen-Dorf Hettiswil. Hier, unter den breiten, aufgefächerten Dächern der Emmentaler Holzhäuser, scheint die Tradition zu schlummern. Inmitten dieser Idylle hat das Schicksal – oder der Werkstoff Holz – drei Menschen zusammengeführt, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Den Illusionisten Sandro Del-Prete, den Automobilingenieur Fritz Kobel und den Schreiner Ernst Güdel.

Sehen heisst erkennen

Den Künstler Sandro Del-Prete kennt in der Schweiz jedes Kind. Schon Primarschüler staunen im Unterricht über seine Werke. Wer hat die Zeichnung eines gekrümmten Schachbretts, das bis ins letzte Strichlein aus schnurgeraden, parallelen Linien besteht, nicht schon einmal gesehen?

Del-Prete verdreht munter die Perspektiven, zaubert aus Pflanzen und Tieren Gesichter, zelebriert optische Täuschungen wie kaum ein anderer und lässt Illusionen wahr werden wie zum Beispiel die unmögliche Quadratur des Rades. Ja, dieser Sandro Del-Prete, mittlerweile 80 Jahre alt, ist schon ein Spezieller und verfügt über lebenslange Erfahrung im Verblüffen. «Sehen heisst erkennen. Wir erkennen dank unserer Erfahrung. Fehlt die Erfahrung, können wir getäuscht werden», sagt er. Und so stellt Del-Prete seit Jahrzehnten die perspektivischen Regeln völlig auf den Kopf. Mit den Jahren hat er dabei eine Perfektion erreicht, die weltweit ihresgleichen sucht.

Unterstützt von seiner Frau Yolanda und seinen beiden Söhnen, betreibt er nun seit vielen Jahren in eben diesem Dörflein Hettiswil das Illusoria-Land, Museum und Galerie für optische Täuschungen und Holographien. Zehntausende haben sich diese kuriose Sammlung schon angeschaut.

So auch Fritz Kobel, Ingenieur HTL der Automobiltechnik, ebenfalls aus Hettiswil. «Durch die Kunst trifft man alle Tage etwas Neues, wenn man die Augen aufmacht», sagt der 61-Jährige.

Bilder geraten in Bewegung

Kobel kam vor einiger Zeit, bei einem Besuch im Illusoria-Land, mit dem Ehepaar Del-Prete ins Gespräch. Dabei offenbarte Yolanda Del-Prete einen Wunsch. Sie sagte, wie schön es doch wäre, wenn sie den Gästen das Bild «Der Gartenzaun» ihres Mannes erklären könnte, ohne jeweils unter Verrenkungen einen Teil mit blossen Händen abdecken zu müssen.

Dieser Gedanke forderte Ingenieur Fritz Kobel heraus. Der Tüftler zog sich in seine private Werkstatt zurück, grübelte, verwarf, berechnete aufs Neue und kam schliesslich zu dem Schluss: machbar mit dem Werkstoff Holz. «Es war verrückt. Ich musste mich voll reinknien. Die Ideen kamen erst mit dem Machen», zieht er heute Bilanz. Und so konstruierte Kobel eine Abdeckung auf einer mittleren Ebene oberhalb des Bildes «Der Gartenzaun».

Betätigt man die hölzernen Regler von Hand, decken Schieber das Bild teilweise ab und lassen so die Einzelheiten fürs Auge besser erkennbar hervortreten. Diese gelungene Konstruktion war für den Künstler Del-Prete ein Weckruf. Wäre es nicht möglich, mithilfe der genialen Ingenieurkunst noch andere seiner Werke beweglich und besser verständlich zu machen? Und wenn man es so einrichten könnte, dass die Gäste der Ausstellung unter Anleitung an den wertvollen Exponaten selbst Hand anlegen könnten, so wäre das ein Schritt in die momentan gefragte Interaktivität.

Und so beschlossen die Männer, etwas Ähnliches mit dem Bild «Liebesbotschaft der Delphine» anzustellen. «Die Kinder sehen immer nur die Delfine, die Männer immer das Liebespaar. Der Gedanke, die beiden Betrachtungsarten mechanisch zu trennen, hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen», sagt Kobel. In schlaflosen Nächten überlegte er, wie man die Idee umsetzen könnte, und legte dann los. «Dieser Streich wurde mein Geschenk zum 80. Geburtstag des Meisters», erzählt er.

Sorgfalt erforderlich

Beim lokalen Holzlieferanten bestellte Kobel dafür eine mannsgrosse, fast zwei Zentimeter dicke Massivholzplatte aus Buchenholz. Er kopierte das Original des Meisters und vergrösserte es. Dann übertrug er mithilfe einer Schablone die Motive auf die volle Platte und schnitt sie mit der Decoupiersäge aus. «Knapp einen halben Millimeter Schnittbreite, gerade so breit wie das Band. Die Säge bleibt am Ort, und man bewegt das Holz dem Riss nach. Da muss man schon aufpassen, speziell dann, wenn die Holzstücke immer kleiner werden», erklärt er. Zuerst schnitt er die grossen Delfine aus, dann die kleineren.

In einem nächsten Schritt montierte er die verbindenden Gewindestifte nach einem ausgeklügelten Prinzip. Schliesslich waren es ja drei Platten aufeinander. Eine feste, auf der sich alles bewegt. Dahinter zwei Verschiebeplatten, eine mit den Delfinen und der Flasche, die zweite mit dem Liebespaar. Klingt verwirrend. Ist es auch.

Hölzer verschieben sich

In die stehenden Hölzer fräste Fritz Kobel 13,5 Millimeter breite Kurven. Später würden in deren Verlauf die Kurvenrollen (Kugellager) auf und ab fahren und die beweglichen Platten in der Tiefe verschieben.

Das Resultat: Die Delfine heben sich ab, und das Liebespaar wird in der Vertiefung als Umriss sichtbar. Ein Exzenter auf der liegenden Platte löst die Bewegung aus, welche die stehenden Hölzer von vorn in der Auf- und Abbewegung verschiebt. «Die Schwierigkeit war, dass man bei der Arbeit extrem behutsam vorgehen musste. Ich machte einige Prototypen, bevor ich mich ans Original heranwagte», sagt Kobel. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass das Geburtstagskind Del-Prete beim Anblick des fertigen Geschenks den Tränen nahe war.

Kommen und staunen

Angespornt von der konstruktiven und spannenden Zusammenarbeit, beschlossen die beiden Männer, aus dem gleichen Werk nach einem ähnlichen Prinzip auch ein Puzzle zu realisieren.

«Alle Sujets sind vom Meister Sandro Del-Prete erschaffen worden. Sie sind dessen geistiges Eigentum, und er ist es, der ihre definitive Erscheinungsform bestimmt. Er hat das letzte Wort bezüglich Farbe, Licht und Bewegung», betont Kobel. «Ich bin nur ein Helfer, der für Bewegung und Ausführung sorgt.» Die Delfine und das Liebespaar sind offensichtlich aber nur der Anfang dieser besonderen Verbindung zwischen dem Künstler und dem Ingenieur.

In der grossen Ausstellung im Obergeschoss des Restaurants Kreuz haben die beiden auch ein Schloss erbaut und vieles mehr. «Wer mehr über die Werke mitsamt Schloss, Zaubergarten und Drachen erfahren will, muss schon selbst ins Illusoria-Land pilgern», sagt Kobel.

Schreiner macht mit

Die dritte Person im Bunde ist Schreiner Ernst Güdel. Sein Betrieb, gleich neben dem Illusoria-Land, entwirft und erstellt seit Generationen als Holz verarbeitendes Unternehmen Küchen, Türen und Einbauten. Seit 36 Jahren bildet er persönlich Lernende aus. Fähiger, stolzer und kreativer Berufsnachwuchs liegt dem Geschäftsführer am Herzen. «Schreiner geben nicht so schnell auf und haben immer eine Lösung. In diesem Sinne ist die Arbeit Fritz Kobels ein Ansporn für meine Lernenden», erklärt er.

Als er auf das Engagement Kobels aufmerksam wurde, bot er ihm an, ihn mit Rat und Tat zu unterstützen. Für die ganz grossen Stücke stellt er ihm zum Beispiel seine Werkstatt und seine Maschinen zur Verfügung. Güdel sagt: «Es ist wahnsinnig, wie dieser Mann die Fähigkeit hat, Bewegungen mithilfe von Holz umzusetzen. Da muss man schon ein Auge dafür haben, und es braucht Zeit und Geduld.»

www.emme-valley.ch

Illusoria-Land

Das Museum für optische Täuschungen und Holographien des Künstlers Sandro Del-Prete befindet sich in den oberen Räumen des Restaurants Kreuz in Hettiswil BE. Zusammen mit dem angrenzenden Restaurant ist es ein Geheimtipp für Firmenanlässe.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 14 bis 17.30 Uhr, Samstag und Sonntag von 13.30 bis 17 Uhr. Auf Anmeldung unter der Nummer 031 921 68 62 oder unter der E-Mail- Adresse info[at]illusorialand[dot]ch ist eine persönliche Führung mit dem Künstler möglich. Das Buch «Sandro Del-Prete. Der Meister des Illusorismus» (ISBN 978-3-7165-1493-1) ist für 78 Franken im Illusoria-Land erhältlich.

www.illusoria-land.com

beb

Veröffentlichung: 30. August 2018 / Ausgabe 35/2018

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