Offen sein für Neues

«Ich sehe der Zukunft der Schreinerbranche positiv entgegen»: Anita Luginbühl, Vize-präsidentin des VSSM. Bild: Patrik Ettlin

Jahreswechsel.  Ein aufregendes Jahr ist zu Ende gegangen, in dem auch gesellschaftlich einiges in Bewegung geraten ist. Anita Luginbühl, die erste Vizepräsidentin in der Geschichte des VSSM, schaut zurück und wagt einen Blick auf die Herausforderungen, die den Verband erwarten.

SchreinerZeitung: Anita Luginbühl, das Jahr 2019 geht eindeutig an die Frauen. Das Thema Gleichstellung hat die gesellschaftliche Debatte dominiert wie kein anderes. Das freut Sie bestimmt als erste Frau im VSSM-Vizepräsidium ...

Anita Luginbühl: Es ist sicher nicht schlecht, dass dem Thema Gleichstellung von Frau und Mann viel Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Doch wenn Sie den Frauenstreik ansprechen, muss ich das aus der Sicht der Unternehmerin schon auch kritisch bewerten. Viel Neues hat die Frauenbewegung nicht aufs Tapet gebracht. Doch wir lernen aus dem Frauenstreik und aus anderen Bewegungen im vergangenen Jahr, dass sich im Moment für gewisse Themen sehr grosse Massen mobilisieren lassen. Das ist eine Realität, und das muss man ernst nehmen. Wir müssen genau hinhören, was die Frauen auf der Strasse gefordert haben, aber wir müssen nicht alles auf den Kopf stellen, nur weil es im Juni einen Frauenstreik gegeben hat.

Doch es ist klar geworden: Die Zeit ist definitiv vorbei, in der die Frauen im Arbeitsleben und sonstwo benachteiligt werden dürfen ...

Eindeutig, doch damit ist noch keiner Frau geholfen. Wichtig ist, dass in den Köpfen ein Umdenken stattfindet, und das kann man nicht erzwingen. Nehmen wir die Schreinerbranche: Im traditionellen Handwerk sind aus der Geschichte heraus viel mehr Männer als Frauen tätig. Und so haben es vielleicht die Frauen auch etwas schwerer, Fuss zu fassen. Doch sie können es, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es ganz normal ist, dass Frauen den Schreinerberuf erlernen. Im Unternehmen, in dem ich tätig bin, bilden wir drei Lernende aus, zwei davon sind Frauen. Selbstverständlich ist überhaupt nicht zu beobachten, dass sich Frauen für den Schreinerberuf weniger gut eignen würden als Männer. Eine unserer Lernenden hat sich gerade vor Kurzem für die Ausscheidungen zu den Swiss Skills qualifiziert. Darauf sind wir sehr, sehr stolz.

Gemäss Lehrvertragsstatistik 2018 beträgt der Frauenanteil in der Ausbildung zur Schreinerin EFZ 13 Prozent. Wie müssen sich Schreinereien positionieren, damit sie für Frauen attraktiver werden?
Man muss als Betrieb vor allem offen sein für Neues. Frauen bringen eine andere Sicht- und Denkweise in einen Betrieb, was nur gut sein kann. Sie sind nicht genau gleich wie Männer, und sie haben nicht die genau gleichen Bedürfnisse. Ein Beispiel: Bestehen die Betriebe darauf, dass die Mitarbeitenden in einem 100-Prozent-Pensum arbeiten, wird es für viele Frauen schwierig. Es wäre gut, würden sich die Unternehmen in diesem Punkt bewegen. Und klar ist natürlich auch, dass die Rahmenbedingungen für flexiblere Arbeitszeitmodelle geschaffen werden müssen. Das wäre im Sinne von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden.


Also sind vor allem Politik und Sozialpartner gefragt?

Alle sind gefragt. Und die Zeit arbeitet eindeutig für die Frauen, allein schon durch den Wandel des Berufsbilds des Schreiners. Mit Fortschreiten der Digitalisierung verliert die reine Muskelkraft an Bedeutung. Im Gegenzug werden andere Eigenschaften wie gestalterische Begabung und das Gefühl für filigrane Arbeiten wichtiger. Das kommt den Frauen eher entgegen. Schreiner sind heute immer mehr auch Ideengeber, Planer und Designer. Sie brauchen ein Gespür für das, was den Leuten gefällt.
Wie kann der VSSM dazu beitragen, dass sich mehr Frauen für den Schreinerberuf entscheiden?
Der Verband unternimmt schon sehr viel, um den Beruf der jungen Generation – auch den Frauen – schmackhaft zu machen. Daran hat er ein sehr grosses Interesse, zumal es zu wenige Fachkräfte gibt. Wir müssen uns deshalb weiterhin für Anliegen stark machen, die den Frauen die Berufswahl erleichtern. Das kann zum Beispiel geschehen, indem man immer wieder Frauen bekannt macht, die sich in der Schreinerwelt erfolgreich durchgesetzt haben. Mit der Bildungsinitiative hat der VSSM zudem aufgezeigt, welche Möglichkeiten einer Schreinerin oder einem Schreiner offenstehen.
Weiterbildung führt aber auch zu Abwanderung aus dem Beruf ...
So zu denken, ist ein Fehler. Wir müssen Weiterbildung als Chance sehen. Leute, die sich weiterbilden, bleiben der Branche meistens erhalten, vielleicht einfach in einer anderen Funktion. Es lohnt sich immer.
Ein brennendes Thema sind aktuell die Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Das Thema brennt mir wirklich unter den Nägeln, obwohl ich nicht selber in die Verhandlungen involviert bin. Mit der Position der Gewerkschaften habe ich manchmal etwas Mühe. Sie rufen immer nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf, doch sie sind nicht bereit, in puncto Arbeitszeitmodelle auf der Arbeitgeberseite mehr Flexibilität zu ermöglichen. Das ist sehr schade. Sich zu ärgern, nützt aber nichts. Es ist ganz klar, dass der GAV auf der Prioritätenliste für das neue Jahr ganz oben steht. Hier eine Lösung zu finden, hinter die sich alle Sozialpartner stellen können, ist eine riesengrosse Herausforderung.
Neben den GAV-Verhandlungen gab es noch andere wichtige Themen im vergangenen Jahr – auch erfreuliche. An was erinnern Sie sich am liebsten?
Drei Dinge stechen besonders hervor. Ich fange an mit dem 75-Jahr-Jubiläum der Höheren Fachschule Bürgenstock. Dieses führte uns eindrücklich vor Augen, wie weitsichtig die Gründer in den 1940er-Jahren waren. Dann habe ich mich ganz besonders über die Silber- und Bronzemedaillen von Samanta Kämpf und Jérémie Droz an den World Skills in Kazan gefreut. Das war ein riesiger Erfolg. Toll war auch, dass mit Samanta gerade eine junge Schreinerin so positiv auf sich aufmerksam machen konnte. Und nicht zuletzt hat mir der neue Auftritt des VSSM an der Messe Holz in Basel sehr, sehr gut gefallen. Damit konnte sich der Verband von seiner besten Seite zeigen.
Also überwiegen doch klar die positiven Erinnerungen. Was sehen Sie 2020 auf die Schreinerbranche zukommen?
VSSM-intern wird etwas ganz Entscheidendes passieren: Mit dem Umzug des Zentralsitzes von Zürich nach Wallisellen im März schafft der Verband die Voraussetzungen für einen nächsten Modernisierungsschritt. Der Neubau des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbands bietet eine zeitgemässe Infrastruktur. Wir müssen das nutzen und unseren Verband weiterbringen. Bei allen Entscheiden der leitenden Gremien des VSSM stehen die Fragen im Zentrum: «Was nützt es den Schreinern, was nützt es der Branche?» Das war bei diesem Thema nicht anders. Ich bin überzeugt, dass die Branche davon profitiert, wenn der VSSM modern ausgerüstet ist. Ich freue mich überdies auf die Swiss Skills in Bern. Und etwas, das wir noch nicht angeschnitten haben: Man kann von der aktuellen Klimadebatte halten, was man will. Sicher ist aber, dass sie Argumente liefert für die Schreiner und ihre Produkte. Holz ist der nachhaltigste Werkstoff, den man sich vorstellen kann. Wir als Branche können profitieren von der Klimabewegung. Das sollten wir uns bewusst sein.
Wie sehen Sie generell der Entwicklung der Schreinerbranche in den nächsten fünf oder zehn Jahren entgegen?

Der Beruf wird sich weiter vom Hobel- und Späne-Image entfernen, die Digitalisierung wird voranschreiten. Die Betriebe werden anders aussehen als noch vor einigen Jahren. Die Frage, die man sich dabei stellen muss: Ist das schlecht? Maschinen und Computer einzusetzen, heisst ja nicht zwingend, dass weniger Leute beschäftigt werden. Die moderne Technik macht den Beruf attraktiv für junge Leute. Ich sehe der Zukunft der Branche zuversichtlich entgegen. Doch es wird sich einiges ändern.

www.vssm.ch

Zur Person

Anita Luginbühl (59) ist Mitinhaberin und Geschäftsleitungsmitglied der Schreinerei Luag Luginbühl AG in Krattigen BE mit 17 Mitarbeitenden. Seit 2014 ist sie im VSSM-Zentralvorstand vertreten, seit 2018 ist sie als erste Frau der Verbandsgeschichte Vizepräsidentin. Darüber hinaus war Anita Luginbühl zehn Jahre lang für die BDP im Berner Kantonsparlament aktiv. Ende Januar gibt sie dieses Mandat ab.

www.luag.ch

mf

Veröffentlichung: 09. Januar 2020 / Ausgabe 1-2/2020

Artikel zum Thema

30. Oktober 2025

Neue Sia-Norm bezüglich

mehr
30. Oktober 2025

Vereinbarkeit thematisieren

Pilotprojekt.  Der VSSM hat mit der Fachstelle UND ein Projekt zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben durchgeführt. Geblieben sind gute Erfahrungen, Ratschläge sowie ein Leitfaden für alle Mitgliedsbetriebe.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Verbandsinfo