Profisportler Kobel greift zum Hobel

Familienidylle statt Wettkampftrubel (v. l.): Nino, Mia, Jori und Ehefrau Dinah schätzen die gemeinsame Zeit, die Stefan Kobel als Schreiner für sie hat. Bild: Beatrix Bächtold

Wechsel.  Im reifen Alter von 40 Jahren beendet der Spitzensportler Stefan Kobel seine internationale Beachvolleyball- und Trainerkarriere. Er startet die Grundausbildung zum Schreiner, um mehr Zeit für seine Frau und seine drei Kinder zu haben. Ein mutiger, bestens überlegter Schritt.

Kinder lachen, das Abendessen duftet, Kater Billy streicht dem Hausherrn um die Beine, im Ofen flackert das Feuer. Es ist das reinste Idyll hier im Einfamilienhaus in Münchenbuchsee BE. Nur die Bronzemedaille der Olympischen Spiele 2004 im Eingangsbereich deutet darauf hin, dass hier einer der grossen Schweizer Sportler der vergangenen Jahrzehnte zu Hause ist. «Ich war mit meiner Profikarriere glücklich. Aber ich wusste, dass das so nicht weitergehen kann, denn ein unregelmässiges Leben im Spitzensport und ein Leben für die Familie passen nicht zusammen. Ich habe mich für das Bessere entschieden. Eine späte Grundausbildung zum Schreiner – für mich der ideale Weg», sagt Stefan Kobel, der aus der Region Winterthur ZH stammt.

Schon als Primarschüler «tschuttet» Stefan Kobel beim FC Kollbrunn-Rikon. Ein paar Jahre später, während der Kantonsschulzeit, schliesst er sich in den freien Nachmittagen seinen Volleyball spielenden Kollegen an. «Speziell Beachvolleyball faszinierte mich und ich habe mich wohl geschickt angestellt. Jedenfalls nahmen sie mich im Team an den Zürcher Kantonalen Mittelschulsporttag mit», sagt er.

Die Karriere nimmt Fahrt auf

Als Stefan Kobel kurz darauf mit einem Junior als Partner ein Beachvolleyballturnier gegen Topspieler gewann, wurde man auf ihn aufmerksam. «Da wollten natürlich alle wissen, wer ich bin», erzählt er. Und so kam es, dass Stefan Kobel mit 19 Jahren eine Volleyballkarriere beim VC Smash Winterthur, einem der namhaften Clubs der Schweiz, startete. Dort lernte er seinen späteren Beachvolleyball-Partner Patrick Heuscher kennen, mit dem er sich an die Weltspitze spielte und dem Volleyballsport in der Schweiz so richtig Aufwind gab. An den Olympischen Spielen 2004 in Athen holte das Team Bronze. Noch im gleichen Jahr gewann das Duo das World-Series-Turnier in Gstaad und wurde Dritter an der Europameisterschaft.

Im folgenden Jahr zogen die beiden ins EM-Finale ein und waren bei der Word Tour in Paris, das ist der Weltcup und damit die höchste Turnierserie, erfolgreich. Sie waren fünffacher Schweizer Meister und wurden 2004 gar als Schweizer Team des Jahres geehrt. «Einzelsportler des Jahres wurde damals Roger Federer. Ich habe ihn kurz gesehen und Hallo gesagt», erzählt Kobel beeindruckt. «Unsere Mitbewerber im Teamwettbewerb waren hochkarätig, so zum Beispiel Sauber Petronas, der legendäre Formel-1-Rennstall.»

Rücktritt und Neuorientierung

Zwei Jahre später horchte die Sportwelt auf, als Stefan Kobel den Rücktritt bekanntgab. «Ich hatte alles erreicht und war wettkampf- und reisemüde», sagt er. Anschliessend arbeitete Kobel bis 2013 als Nationaltrainer der Herren und war in dieser Funktion weltweit unterwegs. 2007 heiratete er Dinah, eine ehemalige Leistungssportlerin, und bald schon kam der Nachwuchs. «Anfangs habe ich meine Familie ins Trainingslager mitgenommen. Wir schätzten diese Art von Leben. Irgendwann aber sehnten wir uns nach einem normalen Tages- und Wochenablauf», erklärt er.

Deshalb versuchte sich Stefan Kobel zunächst als Sportfunktionär. Doch bald merkte er, dass der Arbeitsalltag als «Bürogummi» für ihn nicht das Wahre ist. Um das Bewegungsmanko auszugleichen, wechselte Kobel an die Technische Fachschule Bern als Sportlehrer im Teilzeitpensum. «Aber das war ernüchternd. Ich, 20 Jahre lang im Leistungssport unterwegs und Diplomtrainer, sollte nun junge Erwachsene zum Sport motivieren, die zum Teil gar keine Lust hatten. Da war mir meine Zeit echt zu schade, um den Globi zu spielen», erzählt er. «Ich machte mir selbst nie etwas vor. Deshalb sagte ich zu mir: ‹Hey, du musst etwas verändern.›.»

Schreiner – der Weg

Stefan Kobel schaute sich also aktiv nach einem neuen Beruf um, machte ein Coaching und informierte sich in der Berufsberatung über verschiedene handwerkliche Berufe. «Relativ schnell war mir klar, dass ich nur als Schreiner das finden werde, was ich suche. Der Werkstoff Holz mit seinen Facetten und Möglichkeiten faszinierte mich. Greifbare Endprodukte mit Wert und Beständigkeit zu schaffen, dieser Gedanke liess mich nicht los», sagt er. Aber wie sollte das in der Praxis aussehen? Wie würde er es schaffen, seine Familie mit einem Lehrlingslohn durchzubringen? Diese Fragen und viele andere mehr kreisten Tag und Nacht in Stefan Kobels Kopf. «Doch war der Entschluss erst einmal gefasst, gingen nach und nach Türen auf. Meine Frau Dinah hat mich bei der Umsetzung meiner Idee nicht nur moralisch unterstützt, sondern ist wieder in ihren Beruf als Kindergärtnerin eingestiegen, um die Haushaltskasse zu füllen», sagt er. Rückenwind gaben auch die Eltern von Stefan Kobel, indem sie ihrem Sohn ihre Unterstützung anboten. «Es war beruhigend, ein Netz zu haben, das einen auffängt, falls alles schiefgeht», sagt er.

Schreinerlehre in Frutigen

In dieser Phase wandte sich Kobel an Martin Ruprecht, einen sportlichen Schreiner, den er vor einigen Jahren in der Volleyballszene kennengelernt hat. Er rief ihn an und erzählte ihm, dass er sich mit dem Gedanken befasse, eine Schreinerlehre zu machen. Anfangs hat der Gründer und Inhaber von Möbel-Design Ruprecht in Wengi bei Frutigen BE schon gestaunt. Es gibt zwar immer wieder Berufsleute, die eine Zweitausbildung machen, aber die sind meistens jünger und haben einen anderen Hintergrund. Kobel erzählt: «Martin hörte genau zu und sagte dann: Also, wenn du das wirklich machen willst, dann darfst du das.» Von nun an «schnupperte» Kobel neben seiner Teilzeitstelle als Sportlehrer in der Werkstatt.

Möbel-Design Ruprecht ist ein Kleinbetrieb mit drei Vollzeitbeschäftigten, zwei Lernenden und einem Chef, der schon mal gerne seine eigenen Wege geht. Seit 1994 entstehen hier im Berner Oberland Qualitätsmöbel nach individuellen Kundenwünschen. «Die mit dem schönsten Job», steht auf der Website.

Star ohne Allüren

Martin Ruprecht, der auch als Prüfungsexperte aktiv im Einsatz ist, hat in dieser Funktion noch nie einen Prominenten getroffen, der als Späteinsteiger Schreiner lernt. «Ich habe mit Steff den Lehrvertrag gemacht und es gewagt, weil ich wusste, dass er ein wunderbarer Typ ohne Starallüren ist und gut zu uns ins Team passt», erklärt er auf Anfrage der SchreinerZeitung. Als ehemaliger Sportprofi und Familienvater hat Kobel eine reichere Lebenserfahrung als ein Jugendlicher. «Das äussert sich unter anderem durch soziale Kompetenz, Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit, schnelle Auffassungsgabe, Begeisterungsfähigkeit und absolute Zuverlässigkeit. Dazu hat er noch die Grösse, Anweisungen der um 21 Jahre jüngeren Ober-Lehrtochter anzunehmen. Ein Plus ist auch, dass er Auto fahren kann», sagt Ruprecht und fügt hinzu, dass er sich ganz sicher ist, dass Stefan Kobel seinen Weg als Möbelschreiner machen werde. «Seine Fähigkeiten und seine positive Einstellung sind ein Gewinn für jeden Betrieb», erklärt er.

«Ich will Mut machen»

Die Schreinerausbildung ist ein spezieller Sieg für Stefan Kobel. Statt Medaillen gibt sie ihm eine motivierende und befriedigende Arbeit, bei der er sich bewegen kann und die familienkompatibel ist. «Jetzt könnte ich stillhalten und das nicht an die grosse Glocke hängen. Aber ich will Mut machen, einen solchen Schritt zu wagen», erklärt er. Deshalb unterstützt er die Kampagne von berufsbildungplus.ch, einer Initiative von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt zur Förderung der Berufsausbildung. In einem Video erzählt er seine spezielle Geschichte. Als «Glanz & Gloria» vom Schweizer Radio und Fernsehen SRF aber für eine Homestory anfragte, lehnte Kobel ab. «Ich suche keine Publicity», sagt er. Trotzdem – Stefan Kobel ist und bleibt prominent. Jedenfalls trudeln selbst Jahre nach seinem Rücktritt noch Autogrammanfragen aus der ganzen Welt bei ihm ein.

Generationenunterschied in der Schule

Die vierjährige Schreinerlehre absolviert Kobel als Zweitausbildung in nur drei Jahren. Im ersten Jahr drückte er für die Berufskunde zwei Halbtage pro Woche die Schulbank, in den folgenden Jahren reduzierte sich das auf einen Halbtag. Die grösstenteils 18-jährigen Mitschüler haben Stefan Kobel schnell akzeptiert. «Diese Genera- tion kennt mich nicht. Erst wenn ich sage, was ich gemacht habe, realisieren sie es. Es geht nicht darum, was man vorher gemacht hat, sondern nur ums Fachliche. Der Einstieg ins CAD und der Umgang mit dem Computer fällt ihnen sogar leichter als mir», sagt er.

Offen für die Schreinerzukunft

Hilfreich ist Stefan Kobel auch der Lehrlingsbetreuer Matthias Schiffmann im Betrieb. «Er ist Schreiner mit Leib und Seele und auch als Experte und ÜK-Kursleiter tätig. Von ihm kann ich nur profitieren, und er spürt, dass ich wirklich etwas lernen will.» 2018 wird Kobel die praktische Teilprüfung, 2019 die IPA und die Abschlussprüfung ablegen. «Ich nehme an, dass ich das schaffe, aber anstrengen muss ich mich für diese Herausforderung schon», sagt er. Wie es nach dem Abschluss weitergeht, das kann Stefan Kobel nicht sagen. «Ich lasse mich nicht stressen. Der Beruf und die Branche sind vielseitig, und mit dieser soliden Ausbildung finde ich bestimmt eine neue, attraktive Herausforderung.»

www.moebeldesign.chwww.ruprechtküchen.ch

Mitmacher, Mitdenker, Mitlenker

Wertvolle Quereinsteiger

Rund um die Schreinerbildung ist der VSSM derzeit mit dem Projekt unter dem Motto «MitMacher, MitDenker, MitLenker» unterwegs. Dazu gehört auch die Förderung von Quereinsteigern in der Branche. Der hier aufgezeigte Weg des Ex-Profisportlers Stefan Kobel ist in diesem Zusammenhang ein Paradebeispiel. Das Video zur Geschichte von Stefan Kobel ist hier unter der Rubrik Laufbahn zu finden.

www.berufsbildungplus.ch

BEB

Veröffentlichung: 09. November 2017 / Ausgabe 45/2017

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