Sägespäne und soziale Pläne


Die Schreinerei «Offene Tür» verlangt von den Jugendlichen hand-werkliches Geschick und Einsatz. Bilder: Schreinerei Offene Tür


Die Schreinerei «Offene Tür» verlangt von den Jugendlichen hand-werkliches Geschick und Einsatz. Bilder: Schreinerei Offene Tür
Soziales engagement. Für Jugendliche in speziellen Lebenssituationen bietet die christlich orientierte Schreinerei «Offene Tür» in Riehen Lehrplätze an. Trotz seiner sozialen Ausrichtung will sich der Betrieb im Markt behaupten.
Die Schreinerei in Riehen BS ist Teil des Vereins «Offene Tür» (ehemals «Fischerhus»), der sich an verschiedenen sozialen Brennpunkten engagiert. Vor 30 Jahren eröffnete die christlich orientierte Institution die Schreinerei mit dem Ziel, für drogenabhängige Jugendliche eine Therapiestation zu schaffen. Der Betrieb sollte den Drogenabhängigen zum einen eine Tagesstruktur bieten. «Zum andern konnten sie im geschützten Rahmen einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen», sagt Gabriel Krettenauer, seit zehn Jahren Leiter der Schreinerei. Die ursprünglich nur 50 m2 kleine Werkstatt platzte schon bald aus allen Nähten. Der Verein wagte deshalb zehn Jahre nach der Gründung der Schreinerei den Umzug der Werkstatt in neue, grössere Räumlichkeiten mit rund 300 m2 Fläche. Gleichzeitig wurden 55 000 Franken in den Ausbau der Werkstatt investiert.
Der Schritt in die grössere Werkstatt war zudem der Startschuss für einen grundlegenden Wandel von der geschützten Einrichtung hin zu einer Schreinerei, die sich im Markt behaupten muss, nicht grundsätzlich staatlich unterstützt wird und eigene Lernende ausbildet. «Unsere Lehrstellen richten sich an Jugendliche in speziellen Lebenssituationen», sagt Lehrmeister Krettenauer. Das seien zum Beispiel Jugendliche, die ihre Lehre zuvor aus schulischen oder persönlichen Gründen abgebrochen haben, oder junge Menschen mit Migrationshintergrund und wenig Chancen auf dem Lehrstellenmarkt. «Die Situation unserer Lernenden ist sehr individuell. Manche von ihnen würden vielleicht auch andernorts eine Lehrstelle bekommen, doch meist sind sie gegenüber anderen Jugendlichen aufgrund ihrer Lebenssituation im Nachteil.» Die «Offene Tür» wolle diesen jungen Menschen eine Chance geben und wage mit ihnen den Schritt hin zu einer Ausbildung zur Schreinerin oder zum Schreiner.
Die Zahl der Lehrstellen in der Schreinerei ist auf zwei bis maximal drei begrenzt. Derzeit lassen sich drei Jugendliche zu Schreinern ausbilden. Bei der Besetzung der Lehrstellen können alle Teammitglieder zu den Kandidatinnen und Kandidaten Stellung nehmen und müssen mit der Anstellung einverstanden sein. Die Bewerber absolvieren in der Schreinerei eine ein- bis zweiwöchige Schnupperlehre. In dieser Zeit werden sie von den aktuellen Lernenden der Schreinerei betreut. Die Jugendlichen stellen ihr handwerkliches Geschick, ihre Einsatzbereitschaft und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation unter Beweis.
Solche Kriterien stehen für Krettenauer bei der Einstellung eines Jugendlichen im Zentrum. «Wir lassen uns bewusst Zeit, bis wir uns für einen Kandidaten entscheiden. So kann es während der Wartezeit zwar durchaus vorkommen, dass der Jugendliche in der Zwischenzeit eine andere Stelle gefunden hat.» Probleme, geeignete Jugendliche für die zwei Lehrplätze zu finden, habe die Schreinerei aber nicht. «Wir erhalten viele Anfragen von Jugendlichen, die bei uns eine Lehre absolvieren oder einfach nur schnuppern wollen. Doch längst nicht allen können wir einen Ausbildungsplatz anbieten.»
Obwohl der Betrieb über einen sozialen Hintergrund verfügt, läuft die Ausbildung laut Krettenauer gleich ab wie in jeder anderen Schreinerei. «Die Jugendlichen werden bei uns nicht von Arbeitsagogen betreut. Das könnten wir uns gar nicht leisten, schliesslich müssen wir uns auf dem Markt behaupten und wirtschaftlich handeln.» Dies bedeute aber nicht, dass der Betrieb möglichst viel Gewinn erwirtschaften muss. Vielmehr gelte es, kostendeckend zu arbeiten, um die nötigen Investitionen in den Betrieb tätigen zu können. «Bei uns steht kein Unternehmer an der Spitze des Betriebs, sondern ein Verein mit einem sozialen Hintergrund. Entsprechend flach sind bei uns die Hierarchien innerhalb des Betriebs», sagt Krettenauer.
Für die Betreuung der Jugendlichen braucht es je nach Fall manchmal etwas mehr Zeit und Geduld, um zum gewünschten Ausbildungs- und Arbeitsziel zu kommen. Über eine besondere Ausbildung im sozialen Bereich verfügen Gabriel Krettenauer und seine Mitarbeiter allerdings nicht. Sie legen aber grossen Wert auf eine gute Betreuung der Jugendlichen und auf ein motivierendes Betriebsklima. Gemeinsame Gespräche und Mahlzeiten gehören für das Team zum täglichen Ritual. «Oft wünschten wir uns mehr Zeit, um noch gezielter auf die Jugendlichen einzugehen. Leider lässt uns das operative Geschäft dazu nur wenig Gelegenheiten», bedauert der Lehrmeister.
Der Schreinerberuf ist in den Augen Krettenauers gerade für Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen eine ideale Tätigkeit, um persönliche Entwicklungsschritte zu machen. «Die Arbeit in der Schreinerei bietet den jungen Menschen viele Anknüpfungspunkte, die sie geistig, körperlich und in ihrer Kreativität fördern. Sie arbeiten mit verschiedenen Materialien und kommen mit Kunden in Kontakt.»
Bewusst biete die Schreinerei ein breites Sortiment an Produkten und Dienstleistungen an. Das sei zwar weniger der Wirtschaft- lichkeit des Betriebs zuträglich, dafür schätzten die Lernenden die Vielseitigkeit ihrer Arbeit. Die Schreinerei stellt Einbauschränke und Küchen her, repariert alte Möbel, baut Türen und Fenster und übernimmt auch ganze Innenausbauten – zum Beispiel für die Kapelle eines Seniorenheims in der Region. Vielfältig ist auch die Kundenstruktur der Schreinerei: Die Hälfte sind Privatkunden aus Riehen und Umgebung, die andere Hälfte besteht laut Krettenauer aus sozialen und kirchlichen Institutionen, Heimen und Spitälern.
In regelmässigem Kontakt steht die Schreinerei auch mit der Gewerbeschule und dem Berufsinspektorat des Kantons. Lose Kontakte bestehen zudem zum Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM), bei dem der Betrieb noch nicht Mitglied ist.
Von 1994 bis heute wurde ein gutes Dutzend Jugendliche zu Schreinerinnen und Schreinern ausgebildet. Nicht alle bleiben laut Krettenauer nach der Lehre ihrem Beruf treu. Eine junge Frau beispielsweise habe sich nach der Schreinerausbildung zu einer Weiterbildung als Sozialpädagogin entschieden. Ein Mann musste aus gesundheitlichen Gründen eine Umschulung machen. «Für einige sind wir eine Zwischenstation auf dem Weg zu anderen Ausbildungen und Berufen.» Es sei jedoch ein grosses Anliegen der Schreinerei, dass die Lehrabgänger auf dem Beruf blieben und in anderen Betrieben Erfahrungen sammelten.
Der Verein «Offene Tür» besteht seit 60 Jahren und ist ein Zusammenschluss von Christen aus Landes- und Freikirchen. Mit diesen Gemeinden arbeitet er zusammen, ist aber institutionell unabhängig. Aktiv ist er derzeit mit mehreren Projekten des gemeinschaftlichen Wohnens, mit einem offenen Jugendtreff und mit der Schreinerei.
Veröffentlichung: 30. Oktober 2014 / Ausgabe 43/2014
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