Schreinern ums Überleben

Bild: Smiling Gecko Alain Schneiter (r.) instruiert die Lernenden in der Schreinerei von Smiling Gecko.

Kambodscha.  Das Hilfswerk Smiling Gecko hat mit Unterstützung eines Berner Schreiners und einer Toggenburger Maschinen-Handelsfirma in Kambodscha eine Schreinerei aufgebaut. Diese bietet Slumbewohnern Arbeit und schafft für sie damit eine existenzsichernde Grundlage.

Kambodscha ist ein gebeuteltes Land, geprägt von jahrzehntelangen Bürgerkriegen und der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Heute rangiert Kambodscha auf der Liste der ärmsten Länder der Welt. Für den Zürcher Künstler und Fotografen Hannes Schmid war das 2012 Grund genug, zusammen mit dem Rechtsanwalt Dominique Rütimann, ebenfalls ein Zürcher, Smiling Gecko ins Leben zu rufen. Der Verein bezweckt, den Slumbewohnern Kambodschas ein existenzsicherndes und würdevolles Leben zu ermöglichen, indem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden.

Nördlich der Hauptstadt Phnom Penh erwarb Schmid 84 ha Land. Auf dem Reissbrett konzipierte er das Modell einer ländlichen Gemeinschaft, bestehend aus sechs Teilprojekten: einer Dorfschule, einer Hühner- und Schweinezucht, einem Gästehaus, einer Schreinerei, einer Textilfabrik und weiteren Gewerbebetrieben.

Schreinerei nach Schweizer Standard

Auf einer Fläche von 400 m2 zog der junge Berner Schreiner Alain Schneiter und sein Team eine Schreinerei nach Schweizer Standard hoch. Im August 2016 hat diese ihren Betrieb aufgenommen. Die Eigenmann AG aus Dietfurt im Toggenburg, Handelsunternehmen für Holzbearbeitungsmaschinen und Werkzeuge, beteiligte sich massgeblich am Projekt. Geschäftsleiter Peter Eigenmann hatte Hannes Schmid an einem Vortrag kennengelernt und war fasziniert von dessen Vision und vom Umfang des Hilfsprojekts. «Beim Nachtessen setzte sich Hannes Schmid zufällig an unseren Tisch und erzählte uns von seinem Vorhaben.» Eigenmann hatte sich schon an mehreren Hilfsprojekten in der ganzen Welt beteiligt. Er fing sofort Feuer und war zur Stelle.

Um 40 Jahre zurückdenken

Die Eigenmann AG unterstützte das Projekt sowohl mit ihrem Fachwissen als auch mit Maschinen. «Wichtig ist, dass man die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt, sonst funktioniert gar nichts», sagt Eigenmann.

Das fängt bei der Auswahl des Maschinenparks an. «Maschinen müssen vor Ort reparabel und robust sein. Und sie müssen für die Leute bedienbar sein. Es nützt nichts, wenn ich eine Hightech-Maschine spende, aber es sind keine Ersatzteile vorhanden oder der Strom fällt ständig aus», sagt Eigenmann. Die Menschen in Kambodscha seien bezüglich der technischen Entwicklung auf dem Stand wie wir vor 40 Jahren.

Die Eigenmann AG übernahm den Maschinenpark aus einem Brandfall und revidierte sämtliche Maschinen, rüstete sie auf und verschiffte sie schliesslich. In den Container kam eine Längskreissäge, eine Pendel- und Tischkreissäge, eine Kehlmaschine, eine Abrichthobel- und Dickenhobelmaschine, eine Absauganlage, eine Langlochbohr- und Ständerbohrmaschine, ein Verleimständer, ein Kettenstemmer sowie Werkbänke und Handwerkzeug.

Peter Eigenmann besuchte die Schreinerei nie, die dank seiner Unterstützung entstand. Er reist nicht gerne. «Aber ein Techniker von uns war eine Woche vor Ort, um die Schreinerei in Betrieb zu nehmen.» Eigenmann ist nicht einer, der sein Engagement an die grosse Glocke hängt. «Ich wirke lieber im Hintergrund.» Solche Projekte müssten sich wie von selbst ergeben, sagt er. Der Leiter eines Hilfsprojekts und der Spender müssten sich auf natürliche Art finden, ohne Zwang. Dann passe es.

Die Sprache war eine hohe Hürde

Alain Schneiter hatte nach seinem Bachelor in Holztechnik an der Berner Fachhochschule nach einem Projekt im Bildungsbereich gesucht, vorzugsweise in Asien. «Ich habe verschiedene Organisationen angeschrieben. Darunter auch Smiling Gecko.» Hannes Schmid reagierte umgehend. Die beiden trafen sich, und Schmid erzählte Schneiter von seinem Schreinerprojekt. «Die Sache war schnell geritzt.»

Ein paar Wochen später flog Schneiter nach Kambodscha mit dem Auftrag, eine Schreinerei zu bauen, Leute auszubilden und ihnen eine Arbeitsstelle zu geben. «Zusammen mit Peter Eigenmann habe ich das Layout geplant und den Produktionsablauf festgelegt», erzählt Schneiter. Eine Schwierigkeit während der Bauphase war es, das nötige Material zu finden, zum Beispiel Absaugrohre. «Die mangelnde Zuverlässigkeit der Lieferanten war für mich als Schweizer gewöhnungsbedürftig. Ebenso die schlechte Qualität der Produkte.»

Nichtsdestotrotz stand die Schreinerei nach vier Monaten. Es konnte losgehen. Schneiter suchte Personal – sechs Lernende und neun Arbeiter. «Das waren Personen aus einfachsten Verhältnissen.» Einige wohnten in den Slums von Phnom Penh oder auf der Müllhalde. Die Lernenden konnten zum Teil weder schreiben noch lesen. Die grösste Herausforderung war für Schneiter die sprachliche Barriere. «Ich kommunizierte mit Stechbeitel und Hammer. Aber es funktionierte. Irgendwie.» Später half ihm ein Dolmetscher.

Sie verarbeiten Koki, Khlong und Tbeng

Die Arbeiten in der Schreinerei richten sich nach der Bautätigkeit auf dem Areal der Gemeinschaft von Smiling Gecko. Momentan läuft der Innenausbau des Gästehauses, und für die Hotelzimmer werden die Möbel hergestellt. Rings um das Schwimmbecken entsteht eine Holzterrasse. Für den Bau der Dorfschule und der Textilfabrik produziert die Schreinerei Holztragwerke. Gearbeitet wird mit lokalem, tropischem Holz. Dieses verfügt über eine hohe Dichte und ist sehr stabil. Für die Möbel und den Innenausbau wird Koki verwendet, ein hellgelbes Holz mit grünlichen Einläufen, das beim Auftrennen einen beissenden Geruch abgibt. Als Bau- und Konstruktionshölzer werden die rötlichbraunen und harten Khlong und Tbeng verwendet. Beide Hölzer sind harzhaltig, was die Verarbeitung erschwert.

Schneiter ist nach dem Aufbau der Schreinerei wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Sein Fazit: «Die grössten Hindernisse waren nicht fachlicher, baulicher oder produktspezifischer Art. Die Herausforderungen lagen in den kulturellen Unterschieden und den Feinheiten im Zwischenmenschlichen.» Am Wichtigsten sei es, sich in die Menschen hineinversetzen zu können. «Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich an diesem Projekt teilhaben durfte. Es hat meinen Horizont erweitert. Wer mal in den Slums war, schätzt auf einmal, was man zu Hause hat.»

Suche nach mehr Schreinern

Unterdessen sind drei weitere Schweizer vor Ort in Kambodscha. Schreiner Tobias Blessing, der den Betrieb leitet, Lukas Thalmann, Architekt mit praktischer Erfahrung als Zimmermann, und Praktikant Lukas Koch. Letzterer befasst sich im Rahmen seiner Bachelor-Abschlussarbeit in Holztechnik mit der Erstellung eines modular aufgebauten Ausbildungslehrplans mitsamt Prüfung. «Für den Weiterbetrieb und die bauliche Tätigkeit braucht es noch mehr Schreiner vor Ort», sagt Alain Schneiter.

Die Schreinerei soll sich mittelfristig selbst finanzieren, indem sie ihre Leistungen im Markt anbietet. Smiling Gecko ist ein junges, dynamisches Projekt. In kurzer Zeit ist hier bereits Beachtliches geleistet worden. Bis das ganze Projekt selbsttragend ist, braucht es noch ein bisschen Zeit. Bis dahin sammeln die Macher noch Spenden.

www.smilinggecko.ch

cs

Veröffentlichung: 06. April 2017 / Ausgabe 14/2017

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