Sichere Aufstiegsmöglichkeiten

Praxistauglichkeit ade: Diese Leiter sollte fach-männisch repariert oder durch eine neue ersetzt werden. Bild: Michi Läuchli

Leitern und gerüste.  Unfälle mit Leitern sind leider keine Seltenheit, manche enden sogar tödlich. Um dem entgegenzuwirken, wurde Anfang 2022 die Bauarbeitenverordnung erneuert. Was sich für Schreiner geändert hat, erklärt ein Experte im Gespräch mit der Schreinerzeitung.

Hand aufs Herz – wer hatte im Umgang mit einer Leiter nicht auch schon viel Glück und ist nach einem Fehltritt oder Ausrutscher zwar unsanft, aber noch mit beiden Füssen auf dem Boden gelandet?

Leider enden viele Missgeschicke mit Leitern nicht ganz so harmlos, Abstürze gehören zu den grössten Unfallgefahren auf Baustellen. Gemäss Suva ereignen sich pro Jahr rund 6000 Berufsunfälle beim Arbeiten mit Leitern. Davon werden über 100 Personen invalid, 4 Personen verlieren sogar ihr Leben. Oft wird unterschätzt, dass auch ein Absturz aus geringerer Höhe dramatische Folgen hat: Stürzt eine Person aus 3 Metern, schlägt er mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 28 km/h auf den Boden auf. Dies führt zu schweren Verletzungen, die häufigsten davon betreffen bei Absturzunfällen ohne Invalidität oder Tod die Beine, gefolgt von Armen, Händen und schliesslich dem Rumpf und dem Rücken. Um die vielen Leiterunfälle zu reduzieren, wurde die Bauarbeitenverordnung überarbeitet, die per 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist. Was es neu zu beachten gilt, hat die Schreinerzeitung im Interview mit Christian Bolliger (Bild) herausgefunden. Der studierte Holzbauingenieur ist seit Längerem für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in der Holzbranche tätig, bei der er als Sicherheitsingenieur fungiert, unter anderem auch für die Sicherheitskommission Schreinergewerbe (Siko 2000).

Schreinerzeitung: Herr Bolliger, per 1. Januar 2022 trat die überarbeitete Bauarbeitenverordnung in Kraft. Was hat sich nun geändert?
Christian Bolliger: Neu dürfen Arbeiten von tragbaren Leitern aus nur dann ausgeführt werden, wenn kein anderes Arbeitsmittel in Bezug auf die Sicherheit besser geeig- net ist. Ab 2 Metern Standhöhe müssen Absturzsicherungsmassnahmen getroffen werden, und die Arbeit darf nur von kurzer Dauer sein.
Weshalb war die Überarbeitung nötig?
Alle Verordnungen, so auch die Bauarbeitenverordnung, werden an den Stand der Technik angepasst. Absturzunfälle zwischen 2 und 3 Meter führen häufig zu schweren Verletzungen, zudem beträgt die Absturzhöhe im umliegenden Ausland grösstenteils 2 Meter, deshalb hat die Schweiz auch nachgezogen.
Wo gilt die Bauarbeitenverordnung?
Die Bauarbeitenverordnung gilt bei der Erstellung und dem Unterhalt von Gebäuden.
Sind schon aktuelle Unfallzahlen seit der Überarbeitung vorhanden?
Nein, die sind noch nicht bekannt. Ich denke, zum aktuellen Zeitpunkt ist es auch noch zu früh, um irgendwelche Schlüsse ziehen zu können.
Was müssen Schreiner nun beachten, wenn sie eine Leiter verwenden?
Wenn eine tragbare Leiter zum Arbeiten eingesetzt wird, muss dies das richtige Arbeitsmittel sein. Als Tipp soll der Einsatz einer leichten Plattformleiter geprüft werden, da diese sicherer ist als beispielsweise eine Bockleiter.
Heisst das, ich darf keine Leiter mehr benützen, die länger als 2 Meter ist, wenn ich nicht gesichert bin?
Die Leiterlänge ist nicht massgebend, entscheidend ist, wo der Arbeiter steht. Die Füsse dürfen während der Arbeit nicht höher als 2 Meter über Boden sein. Die Bauarbeitenverordnung definiert nur das Arbeiten auf tragbaren Leitern. Zur Benützung der Leiter als Zustiegsmittel, sagt die Verordnung nichts.
Welche Konsequenzen drohen bei einer Nichteinhaltung?
Wird ein Nichtbeachten der Verordnung festgestellt, kommt der Arbeiter den gesetzlichen Forderungen nicht nach. Die Vollzugsstelle kann daher als Folge dieser Übertretung je nach Schweregrad eine Ermahnung oder eine Verfügung ausstellen, was zu Prämienstrafen oder Verzeigungen führen kann.
Wer ist für die Umsetzung der neuen Verordnung verantwortlich?
Der Arbeitgeber trägt die Hauptverantwortung und ist grundsätzlich für den Schutz der Gesundheit seiner Mitarbeitenden zuständig. Innerhalb einer Firma liegt die Verantwortung in der Hierarchie: Wer einer untergebenen Person einen Auftrag erteilt, trägt als Arbeit gebende Person eine Verantwortung für die sichere Ausführung. Die Mitarbeitenden ihrerseits sind dazu verpflichtet, den Arbeitgeber bei der Umsetzung der Sicherheitsvorschriften zu unterstützen, und stehen damit in einer Mitverantwortung. Zudem ist der Verwender verpflichtet, das Arbeitsgerät vor dem Einsatz visuell zu kontrollieren.
Darf ich alte Leitern noch benützen, oder muss ich diese entsorgen?
In der Bauarbeitenverordnung sind keine Angaben über die Festigkeit und weitere Dinge von Leitern enthalten. Alte Leitern können gemäss den besagten Vorschriften immer noch eingesetzt werden, vorausgesetzt, sie sind defektfrei, werden nach Angaben des Herstellers eingesetzt und sind für den Einsatzzweck geeignet.
Welche Leitern sind nun von der neuen Bauarbeitenverordnung betroffen?
Die tragbaren Leitern, gemäss der Suva sind dies Anstell- und Bockleitern.
Muss beim Arbeiten mit Leitern immer eine Absturzsicherung getragen werden, und falls ja, wann genau?
Beim Arbeiten ab zwei Meter Standhöhe sind Absturzsicherungsmassnahmen zu treffen. Dies kann zum Beispiel aus einem umlaufenden Seitenschutz an einer Podestleiter bestehen. Der Einsatz von Seilsicherungen kommt kaum infrage, denn über 2 Meter Absturzhöhe gibt es sicherere Arbeitsmittel zum Arbeiten wie ein Rollgerüst, ein Faltgerüst oder eine Hubarbeitsbühne.
Gelten die Regeln wie bei Nichtbenützung der obersten drei Tritte, bei einem Anstellwinkel von 70 Grad und beim Überragen der Leiter gegenüber der Kante um 1 Meter dann noch?
Richtig, dabei gilt es auch immer, die Angaben des Herstellers zu beachten, etwa welches der korrekte Anstellwinkel ist oder welche Tritte nicht betreten werden dürfen.
Was muss ich tun, um sicherzustellen, dass ich die Leiter richtig anwende?
Überprüfen Sie, ob die Leitern gemäss Bauarbeitenverordnung und Angaben des Herstellers eingesetzt werden. Weiter ist zu empfehlen, alternative Steigmittel wie eine Podestleiter, ein Rollgerüst oder ein anderes Hilfsmittel zu prüfen und einzuführen.
Bin ich als Arbeitnehmer für Unterhalt und Sicherheit verantwortlich?
Ja, der Verwender von Arbeitsmitteln trägt eine Mitverantwortung über die bestimmungsgerechte Verwendung laut den Angaben des Herstellers. Der Arbeitgeber stellt die Arbeitsmittel zur Verfügung und veranlasst deren Instruktion, Schulung sowie die Instandhaltung.
Wo muss ich ein Rollgerüst einsetzen?
Rollgerüste sind eine Möglichkeit, um Arbeiten an erhöhten Arbeitsplätzen auszuführen. Das Arbeitsmittel wie ein Rollgerüst, die Hubarbeitsbühne, das Fassaden- oder Arbeitsgerüst ist immer auf die Situation anzupassen.

www.bolliger-partner.chwww.siko2000.chwww.suva.ch

Sicherheits-Check

Diese Punkte gilt es zu beachten

  • Ist eine tragbare Leiter nötig, oder gibt es geeignetere Alternativen wie eine Podestleiter, ein Rollgerüst etc.?
  • Vor dem Einsatz Leiterzustand (Füsse, Sprossen, Scharniere) überprüfen
  • Bei Arbeiten mit einer Absturzhöhe über 2 Meter ab Standfläche muss eine Absturzsicherung eingesetzt werden
  • Anstellleitern dienen in erster Linie als Zugangsmittel zu Arbeitsplätzen
  • Bockleitern dienen nie als Zugangsmittel, sondern nur als Arbeitsstelle
  • Werkzeug und Material beim Besteigen der Leiter in Taschen mitführen
  • Auf tragbaren Leitern dürfen nur leichte Arbeiten ausgeführt werden
  • Die obersten 2 Sprossen der Leiter dürfen nicht betreten werden
  • Anstellleitern müssen gegen Drehen, Kippen und Wegrutschen gesichert sein
  • Der Anstellwinkel der Leiter sollte ca. 70° sein (Ellbogenprobe)
  • Leitern nur auf ebenem, genügend tragfähigem Untergrund aufstellen
  • Bei Bockleitern muss die Spreizsicherung gestreckt sein
  • Blick und Körper immer zur Leiter hin richten
  • Für flächendeckende Arbeiten ist die Leiter nicht geeignet
  • Für das Besteigen gutes Schuhwerk mit rutschfester Sohle tragen
  • Leiter muss Ausstiegskante um mindestens 1 Meter überragen oder eine Haltemöglichkeit mit Plattform aufweisen
  • Leitern regelmässig prüfen und vor schädigenden Einwirkungen wie Feuchtigkeit und aggressiven Dämpfen schützen
  • Leiterfüsse mit Metallspitzen für Naturboden, Kunststofffüsse für trockene, saubere Böden
www.suva.ch

Michi Läuchli, ML

Veröffentlichung: 21. September 2023 / Ausgabe 38/2023

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