Steckt noch in den Kinderschuhen


Wenn Oberflächen die Übertragung von Keimen verhindern, ist in sensiblen Bereichen viel gewonnen. Bild: Swiss Krono AG


Wenn Oberflächen die Übertragung von Keimen verhindern, ist in sensiblen Bereichen viel gewonnen. Bild: Swiss Krono AG
Hygiene. Das Präfix «Anti-» taucht in Zeiten von Corona häufig auf. So auch bei Materialien und Beschichtungen, die dem Schreiner offeriert werden. Die Werkstoffhersteller bieten inzwischen eine ganze Reihe von Produkten mit verschiedenen antimikrobiellen Eigenschaften an.
Kurz vor Weihnachten machte eine Eilmeldung aus dem Eidgenössischen Büro für Konsumentenfragen die Runde. Der Weltbild-Verlag rief darin eine UV-C-Desinfektionsleuchte vom Markt zurück. Bei deren Gebrauch bestehe die Gefahr von Schäden an Augen und Haut.
Der Hintergrund: Leuchten, die auf Basis von UV-C-Strahlen arbeiten, sind zur Desinfektion derzeit äusserst gefragt, weil sie Viren und Bakterien unschädlich machen. Neben der Raumluft werden mit solchen Leuchten vor allem immer mehr Gegenstände behandelt wie beispielsweise die Handläufe von Rolltreppen. Deutlich einfacher wäre es, wenn den Materialien selbst antimikrobielle Eigenschaften innewohnten. Genau das versuchen die Hersteller von Holzwerkstoffen seit Jahren voranzutreiben und zu optimieren. Und damit sind sie nicht allein. Auch Beschlagproduzenten und Hersteller von Oberflächenbeschichtungen arbeiten an solchen erweiterten Eigenschaften zur integrierten Hygiene.
Besonders interessant sind solche Produkte für die Einsatzbereiche, an denen regelmässig viele verschiedene Menschen zusammenkommen, und dort, wo es eine besondere Sensibilität gegenüber Keimen gibt, die für Menschen gefährlich werden könnten. Also der gesamte medizinische Bereich, aber auch Sportstätten und Schwimmbäder, Schulen und Kindergärten, in der Gastronomie und nicht zuletzt auch im Detailhandel.
Dort finden Werkstoffe mit antibakteriellen Eigenschaften schon seit einigen Jahren Verwendung. Etwa in Form von Schichtstoffen (HPL) sowie bei mit Melaminharz beschichteten Holzwerkstoffen.
Zum Teil braucht es dafür noch nicht einmal besondere Verfahren oder Beimischungen in den Rezepturen. Gleich bei mehreren Produktlinien von Egger sollen Bakterien und andere Keime innerhalb von 24 Stunden nahezu vollständig unschädlich werden. «Diese antibakterielle Oberflächeneigenschaft erreichen wir allein durch die Herstellung unserer Produkte, ohne den Einsatz von Additiven», erklärt Manfred Riepertinger, Leiter Trägerplattenmanagement und Umwelt der Egger Gruppe. Dazu gehören auch Laminate und HPL. Beim Schweizer Schichtstoffhersteller Argolite in Willisau LU werden HPL- und HPL-Kompakt-Oberflächen zusätzlich mit der Sanitized-Silver-Technologie ausgerüstet. Die in einer Glasmatrix fixierten Silberionen werden bei diesem Verfahren im Melaminharz, welches die Oberflächenschicht bildet, dispergiert. Die Bakterien nehmen die Silberionen auf, die ihre Zellteilung blockieren und sie neutralisieren. Aktiviert wird die Funktion durch Feuchtigkeit. «Dadurch wird die Ansiedlung und das Wachstum der meisten Bakterienarten über die ganze Lebensdauer der Argolite-HPL noch wirkungsvoller reduziert», schreibt das Unternehmen.
Jedes Material und jede Oberfläche hat ihr eigenes, spezifisches Verhalten gegenüber den verschiedenen Keimen. Auf Kunststoffen überleben diese tendenziell längere Zeit als auf Holz. Das haben Untersuchungen im Zuge der «Rüstbrettdiskussion» ergeben. Als besonders keimreduzierend hatte sich dabei das Holz der Föhre erwiesen. Allerdings ist die Wirkweise nicht abschliessend geklärt, was einer Berechenbarkeit im Wege steht.
Kunststoffe dagegen lassen sich optimieren, dass sie punktgenau dem Infektionsrisiko durch eine Berührung entgegenwirken können. Ähnliches scheint auch für Composit-Werkstoffe zu gelten, hat doch etwa der Hersteller Varicor antibakterielle Eigenschaften in das Produkt integrieren können und berichtete kürzlich auch über antivirale Eigenschaften des Mineralwerkstoffes.
Zum Einsatz kommen dabei neben Silber auch andere Metalle wie Kupfer oder Zink als Beschichtungen oder im Material selbst. Nachteil: Solche Additive sind teuer und für eine breitenwirksame Anwendung deshalb eher unrealistisch.
Umfassende antimikrobielle Wirkung samt der Wirksamkeit auf Viren verspricht auch der deutsche Holzwerkstoffhersteller Pfleiderer mit «Microplus». Der Effekt bestehe für HPL-Produkte und melaminbeschichtete «Deco Board»-Platten. Innerhalb eines Tages soll sich die antivirale Durchschlagskraft gegen Viren durchsetzen, darunter auch Sars-CoV-2, den für Covid-19 verantwortliche Erreger. Ursächlich ist auch hier die Einbindung des Sanitized-Silver-Additivs aus Schweizer Produktion der Sanitized AG in Burgdorf BE.
Andere Wege geht die Swiss Krono AG in Menznau LU. Bei der «Be.Safe»-Funktionalität kommen nicht die gängigen Metallionen zum Einsatz. «Wir haben uns bewusst gegen herkömmliche Technologien entschieden, welche meist auf Silberionen basieren. Denn dieser Ansatz ist in unseren Augen nicht nachhaltig. Unsere antimikrobielle Oberfläche zerstört die Hülle oder das Kapsid der Mikroorganismen durch einen physikalischen Prozess – eine sogenannte elektrostatische Wechselwirkung. Man kann sich den Effekt wie eine Nadel vorstellen, die einen Ballon durchsticht», sagt Roger Braun, Standortleiter der Swiss Krono AG.
Getestet werden Oberflächen und Materialien in der Regel durch die Applikation von Standardkeimen. Das heisst, es wird stets jeweils ein wohlbekanntes Bakterium, ein Pilz und ein Virus stellvertretend für alle anderen angewandt zur Prüfung eines möglichen Effektes. Auffallend dabei ist, dass das deutsche Institut Hohenheim die meisten Zertifikate für die Branche ausstellt. Eine Einrichtung, die eigentlich auf Landwirtschaft fokussiert ist und nicht gerade zu den Granden der mikrobiellen Forschung gehört. Andere Institute, deren Existenz bis anhin eher im Verborgenen blieb, beschäftigten sich ebenfalls mit solchen Themen in Zeiten von Corona.
Vorteil ist dabei die Vergleichbarkeit der Tests. Nachteil ist jedoch, dass sich von der Wirksamkeit aus dem einen Test nicht auf den Effekt auf andere Mikroorganismen der gesamten Sippschaft schliessen lässt. Wer also sicher wissen möchte, ob ein Material etwa auf das Covid-19-Virus einen Einfluss hat, muss auch auf diesen Erreger testen, analog dazu auch auf die verschiedenen Arten von Pilzen und Bakterien. Aber spätestens dann kommen die gängigen Materialprüfungsinstitute an ihr Limit. Weitergehende Tests sind aufwendig und damit teuer, sehr teuer. Und selbst wenn auf die Wirksamkeit gegenüber Covid-19 getestet würde, weiss man immer noch nicht, ob das Ergebnis auch für die nun auftretenden Mutationen des Virus Gültigkeit hat. Vom Wissen über Langzeiteffekte bei regelmässiger Reinigung und den eingesetzten Desinfektionsmitteln im medizinischen Bereich und in Laboren ganz zu schweigen.
«Die Hersteller verkünden, dass die antivirale Wirkung über den Lebenszyklus des Materials anhält. Doch woher stammt diese Erkenntnis?», analysiert Marcel Baechler, Geschäftsführer der Häubi AG in Lyss BE. Die Kunden von Baechler sind oft Ärzte, die genau wissen, worum es geht bei der Hygiene. Edelstahl, Glas oder Mineralwerkstoffe sind bei Praxisausstattungen bislang meist die erste Wahl bei den Materialien, bei diesen habe man auch gewisse Erfahrungen. Neue Produkte haben somit eine Bringschuld, die bislang wohl eher auf Versprechungen, denn auf nachprüfbaren Tatsachen beruhten. Schliesslich gehe es in Zeiten von Corona auch um Marktanteile, und das schlage sich auch im Preis für die Werkstoffe nieder.
Die Holzwerkstoffe mit entsprechender antimikrobieller Ausstattung seien enorm teuer, bestätigt Romeo Andrea Corbanese, Mitinhaber der Meier-Zosso Planungs AG in Schwerzenbach ZH. Als Schreinerei, Planungs- und Gerneralunternehmen mit Betätigungsfeld Medizin ist Corbanese klar: «Wir sind bei den Zusagen für unsere Kunden aufgrund der Herstellerangaben der Werkstoffe über antimikrobielle Eigenschaften äusserst vorsichtig.» Das Erfahrungswissen der Akteure im Austausch mit den Kunden-Experten wiegt schwer.
www.egger.comwww.argolite.chwww.varicor.chwww.pfleiderer.comwww.swisskrono.comwww.haeubi.chwww.meierzosso.ch
Begriff aus der Medizin für Krankheitserreger in Form von Bakterien, Pilzen, Viren und anderen Mikroorganismen.
Darunter versteht man ganz allgemein Wirkstoffe, die Mikroorganismen abtöten, reduzieren oder inaktivieren. Sie sind die Gegenspieler der Keime.
AntimykotikumSubstanz, die gegen durch Pilze verursachte Erkrankungen (Mykosen) wirkt. Ein Fungizid dagegen wirkt gegen Pilze (etwa in Oberflächenbeschichtungen), aber nicht krankheitsbezogen.
Antibakterielle SubstanzenWirkstoffe (in der Technik zumeist Silberionen), die Bakterien unschädlich machen. In der Medizin werden Wirkstoffe Antibiotika genannt.
Antiviraler WirkstoffEntgegen der gängigen Praxis des Sprachgebrauches gibt es keine verfügbare Substanz, die Viren im Körper tötet. Lediglich Virostatika, welche die Vermehrung von Viren hemmen (etwa bei der Behandlung von Aids). Da Viren keine eigene Replikation besitzen, also keine DNA zur Vervielfältigung haben, sondern nur eine Art «Code», der sich nach dem Andocken an die Wirtszelle reproduziert, und auch keinen Stoff- wechsel, werden sie nicht zu den Lebewesen gezählt. Sie befinden sich im Grenzbereich zwischen Materie und Leben. Wenn ein Stoff das Andocken an Zellen und damit die Vervielfältigung von Viren verhindert, kann dies als antiviraler Effekt bezeichnet werden.
Veröffentlichung: 21. Januar 2021 / Ausgabe 4/2021
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