Typen sind gefragt


Solche und ähnliche Oberflächen waren häufiger zu sehen in Mailand. Das Handwerk setzt auf deutliche Strukturen, die industriellen Hersteller eher auf feinere Varianten. Bild: Zanat


Solche und ähnliche Oberflächen waren häufiger zu sehen in Mailand. Das Handwerk setzt auf deutliche Strukturen, die industriellen Hersteller eher auf feinere Varianten. Bild: Zanat
Salone del Mobile. Die 60. Ausgabe der Möbelmesse in Mailand war mit Spannung erwartet worden. Bahnbrechendes war nicht auszumachen, aber wieder mehr Handwerk, Vielfalt in Form, Material und Farbe sowie viel Zuversicht bei den Beteiligten.
Schreiner Ali Sahinovic wurde wohl öfter fotografiert, als jede andere Person am diesjährigen Salone del Mobile in Mailand. Er ist einer derjenigen, die für die strukturierten Oberflächen beim Möbelhersteller Zanat aus Bosnien und Herzegowina zuständig sind. Viele wissen nicht, wie eine Struktur handwerklich hergestellt ins Holz kommt. Das hat Sahinovic (Bild rechts) täglich unter den interessierten Blicken des Publikums praktisch am Messestand gezeigt.
Strukturen waren im Grunde überall auszumachen. Ein Muss in der aktuellen Möbelmode und zwar auch in deutlicher Ausführung. Geprägt, gefräst oder geschnitzt – Hauptsache, es gibt etwas zu erkunden auf der Oberfläche. Bei Zanat macht man das schon seit über hundert Jahren. Der Firmengründer wurde damals auf eine recht einfache Schnitztechnik in einem Dorf in der Nähe der Zanat-Heimatstadt Konjic aufmerksam und eignete sich diese an. Seitdem ist das Unternehmen bekannt für dekorative Oberflächenausführungen.
Bei den strukturierten Oberflächen ist auch das lombardische Unternehmen Laurameroni Vorreiter. Schon vor Jahren haben sich die Macher inspirieren lassen von einer Schneidunterlage im Steinbruch, auf der die Marmortafeln zugeschnitten wurden. Daraus hat man eine eigene und typische Reliefstruktur entwickelt, die relativ gleichmässige Nuten in Längs- und Querrichtung aufweist und einige wenige markante diagonal verlaufende Schneidrillen. Wie bei vielen anderen Möbelproduzenten auch, spielt man bei Laurameroni derzeit gerne mit metallischen Oberflächen, wobei auch diese mit haptischen Reizen versehen sind.
Zur neuen Lust an dekorativ ausgeführten Oberflächen gehört auch, dass Fronten von Kastenmöbeln etwas mehr Kontur und Gesicht zeigen durch feine Hohlkehlen, Nuten oder Rundungen. Es wird wieder mehr gespielt mit den Möglichkeiten. Das bringt den Entwürfen deutlich mehr an Variantenreichtum als auch schon.
Und dann noch eine gute Nachricht. Es ist nicht mehr alles Eiche, was Holz ist. Zumindest gilt das für einen Teil der Qualitätslabel von Designmöbeln. Einige grosse Namen haben von der Eiche abgelassen. Das zeigte sich in Mailand deutlich. Allerdings gilt das nur für manche Top-Marke, während im mittleren Segment von Designmöbeln die Produzenten nach wie vor auf die Eiche setzen. Aber wenn die Avantgarde loszieht, dann folgen die anderen früher oder später. Die Omnipräsenz der Eiche dürfte deshalb über kurz oder lang etwas zurückgehen – endlich möchte man sagen.
Eine ganz besondere Vielfalt mit zehn verschiedenen Holzarten setzt die Mailänder Architektin Anna Arpa bei ihrem Multiwood-Tisch ein. Die bunt gemischte Hirnholzfläche der Tischplatte sorgte bei der Besucherschaft für einige Fragezeichen. «Eine typische Reaktion war die Frage, ob es sich bei der Tischplatte um bedrucktes Plastik handle», sagt Arpa. Auch kann man sich kaum vorstellen, dass ein Platte aus 15 000 Holzstücken besteht. Ein Mosaik an lebhaften Holztönen, was an sich schon beweist, dass die oft sehr ähnlich wirkenden Hölzer sich in Wirklichkeit deutlich unterscheiden. Ein echter Hingucker und neben Arpas leimfreier Konstruktion eines Regals (siehe Seite 13) auch ein interessanter Ansatz, einfach anders mit Holz umzugehen.
In der beginnenden Pandemie ein neues Möbellabel zu gründen, ist mutig. Metoda aus Kroatien hat es gewagt und hatte dadurch ungewollt viel Zeit, die Kollektion auszuarbeiten. Diese präsentierte das neue Label zum ersten Mal überhaupt im Superstudio Più in der Zona Tortona in Mailand. Aufgefallen ist dabei unter anderem das Sideboard Potka. Die als Schiebeladen ausgebildete Front in Filz wird von Holzleisten durchdrungen, was dem Ganzen die nötige Stabilität verleiht und es trotzdem leicht wirken lässt. Gleichzeitig wird so eine die Front gliedernde Struktur erzeugt, die zum Anfassen und Benutzen einlädt. Neben den Grüntönen gibt es das Sideboard auch mit hellgrauem Filz und natürlichem Holz, was für eine andere Wirkung sorgt.
Einfacher geht es kaum. Einen äusserst minimalistischen Entwurf für Bank und Tisch mit dem Namen Bench und einfacher stumpfer Eckverbindung hat das italienische Label Plank gezeigt. Kernstück des Ganzen ist ein massiver Beschlag, der eine erstaunlich ausgesteifte Verbindung herstellt. Entwickelt hat das Ganze Produktionsleiter Peter Gruber. «Der Beschlag funktioniert mittels eines Morsekonus, der von Hand oder mit einem Hammer blockiert wird», erklärt Gruber. Das Ganze hat so wenig Spiel, dass auch bei ordentlichem Rütteln an der Bank keinerlei Eindruck von Instabilität aufkommt. Der eigens entwickelte Mechanismus ist ohne Werkzeug mit wenigen Handgriffen zerlegbar. Während die Bank in ihren Abmessungen und ihrer Form festgelegt ist, können die Tische in verschiedenen Formaten und Beinpositionen konfiguriert werden. Entworfen wurde Bench vom Gestalter Konstantin Grcic.
Auffällig am Salone war auch, dass die Hersteller von hochpreisigen Designmöbeln nun gerne nachhaltig sein möchten. Hie und da mit einem deutlichen Anstrich von Greenwashing versehen, müht sich die Branche, den Trend des Echten, Natürlichen und Wertigen zu bedienen, teilweise mit erstaunlich farbenfrohen Blüten und glänzender Fantasie.
Während die naturbelassene Fichte von Bank und Tisch bei Plank diesem Anspruch in besonderem Masse gerecht wird, dürfte es spannend werden, was die Publikumsmedien für das Wohnen aus dem Nachhaltigkeitspostulat ohne reale Hintergründe machen.
Aber dennoch: Natürliche Materialien liegen im Trend. So manche Hersteller haben auch grasartige Oberflächen gezeigt. Geflochtene Materialien wie bei Gervasoni für Fronten, oder auch die feinere Optik von Reisstrohmatten, wie sie bei den japanischen Schlafunterlagen, den Tatami, traditionell eingesetzt werden, waren Elemente, die an mehreren Orten zu sehen waren.
In jedem Fall bieten sich so wieder mehr Möglichkeiten der Gestaltung, da Materialien munter kombiniert werden können. Metall mit Korbgeflecht gehen in einem Möbel zusammen. Das war noch nicht so häufig und ist durchaus ein besonderer Typ.
www.zanat.orgwww.laurameroni.comwww.chiwinglo.itwww.metoda.euwww.plank.itwww.gervasoni1882.com@atelier_anna_arpa (Instagram)
Nach zwei Jahren ohne das grösste Design-Event der Welt, besuchten laut Messegesellschaft über 262 000 Menschen die Messe vom 7. bis 12. Juni 2022. Damit konnte man die Erwartungen übertreffen, wenngleich allein über 40 000 Personen aus China und Russland wie vorauszusehen, der Veranstaltung fernblieben.
Auch in den Showrooms und den Design-Distrikten der Stadt waren weniger Besucher und Besucherinnen zu vernehmen. Die Präsenz der Aussteller war dagegen hoch. Mit über 150 Events war der Distrikt Brera auch in diesem Jahr das Zentrum der Design-Week.
Der nächste Salone findet vom 18. bis 23. April 2023 statt.
www.salonemilano.itVeröffentlichung: 23. Juni 2022 / Ausgabe 25/2022
Nachwuchsstar. 2022 wurde Simone Scozzi an der Holzmesse als «Schreiner Nachwuchsstar» ausgezeichnet. Der heute 33-Jährige aus Leimbach AG war von seinem Erfolg und der Aufmerksamkeit überrascht. Im Nachhinein würde er beim Sideboard einiges anders machen.
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Rekonstruktion Armlehnstuhl. Der Schweizer Architekt Elia Schneider hat den verschwundenen Armlehnstuhl des bedeutenden Baumeisters Heinrich Tessenow rekonstruiert und eine Kleinserie realisiert. Damit ist das Möbel zurück, leibhaftig erhalten für die Nachwelt – wie schön!
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PaidPost. Das Handwerk ist in der afrikanischen Kultur verwurzelt. Am Design-Wettbewerb der Borm-Informatik AG in Zusammenarbeit mit der Stiftung SOS-Kinderdorf haben Lernende aus Niger ihr Können bewiesen und sich so ein Stipendium gesichert.
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