Zwischen Romoos und dem Bundeshaus

Die Bodenhaftung nie verloren: Ruedi Lustenberger im heimischen Entlebuch, wo er in freier Natur die Ruhe geniesst und Energie tankt. Bild: Reto Schlatter

Zum Jahreswechsel.  Das gab es in Personalunion noch nie: der höchste Schreiner, der gleichzeitig der höchste Schweizer war. VSSM-Zentralpräsident Ruedi Lustenberger blickt für die SchreinerZeitung zurück auf ein Nationalratspräsidentenjahr voller Erlebnisse und Emotionen.

Wenn ich während meines Präsidialjahres jeweils von Romoos nach Bern ins Bundes-haus gefahren bin, hat mich dort mein eigenes, grosses Büro mit edlen Nussbaumausbauten und einem grossen Konferenztisch erwartet. Nicht fehlen durfte darin die Schweizerfahne. Sie erinnerte mich jede Sekunde daran, für wen und was ich meine politische Arbeit mache. Einen Stock tiefer gibt es eine ganz besondere Kammer. Sie begeisterte einst ein Weltpublikum. Es handelt sich um das «Brienzer Zimmer»; das ist ein Raum, ausgestattet mit einem prächtigen Füllungstäfer in Eichenholz, verziert mit reichen Schnitzereien, Figuren und Skulpturen. Es fand nach seiner Präsenz an der Weltausstellung in Paris von 1900 seinen endgültigen Platz im Bundeshaus. Geschaffen wurde die Schatzkammer von der Schnitzlerwerkstatt in Brienz, der heutigen Schule für Holzbildhauerei. Das Brienzer Zimmer ist nur ein Beispiel besten Schweizer Handwerks, das im Bundeshaus zu finden ist. Nie zuvor und nie mehr seither ist die demokratische «Idee Schweiz» materiell und künstlerisch in einem Bauwerk auf ähnliche Weise umgesetzt worden. Architekt Hans Wilhelm Auer wollte damals in seinem Bau «die ganze Schweiz» auch physisch darstellen. Umgesetzt hat er dies, indem er Materialien aus sämtlichen Landesteilen eingesetzt und Handwerker aus diesen Regionen für die Ausführung beauftragt hatte.

Grosse Handwerkskunst

Wenn ich nach den Sitzungen im Nationalrat jeweils die Treppe im Bundeshaus hinunter zum Ausgang schreite, fällt mein Blick oft auf Arnold von Winkelried, den Helden von Sempach. Im Bundeshaus vereint ist ein ganzes Repertoire mythischer und historischer Themen aus der Nationalgeschichte der Eidgenossenschaft. Wir treffen auf Wilhelm Tell, Gertrud Stauffacher, Niklaus von Flüe und – auf die wohl am häufigsten fotografierten Männer unter der Bundeshauskuppel – die drei Eidgenossen. Wer einmal das Bundeshaus besucht und genau hingeschaut hat, konnte feststellen, dass vermeintlich unscheinbare Dinge oftmals grosse Handwerkskunst bedingen.

Nobler Sessel, unbequem gepolstert

Auch der Präsidentenstuhl im Nationalratssaal steht unmittelbar vor der malerischen Kulisse des bekannten Bildes von Charles Giron mit dem patriotischen Titel «Die Wiege der Eidgenossenschaft». Der Sessel sieht nobel aus, er ist tatsächlich der höchste im Nationalratssaal und der prächtigste dazu. Was aber nicht heisst, dass er auch der bequemste Stuhl ist. Ich vermute sogar, dass er absichtlich nicht so bequem gepolstert und geschreinert wurde. Weshalb wohl? Damit nicht jemand plötzlich auf den Gedanken kommen könnte, mehr als ein Jahr darauf sitzen zu bleiben, sondern am Ende des Amtsjahres an den angestammten Platz im Plenum zurückkehrt. Und das bin ich am Abend des 24. November 2014 dann auch, nachdem der neu gewählte Präsident Stephane Rossini aus dem Kanton Wallis auf dem Präsidentenstuhl Platz genommen hatte.

Bodenhaftung nicht verlieren

Sie, liebe Leserinnen und Leser, fragen sich, was der Präsident tut, wenn er nicht gerade im Nationalratssaal auf diesem wuchtigen Sessel sitzt, die Session leitet, dann und wann mit der Glocke zur Ruhe mahnt und zufälligerweise einen Stichentscheid fällen darf oder muss. Schliesslich tagen die Räte in der Regel nur vier mal drei Wochen im Jahr – also bleiben 40 sessionsfreie Wochen. Langweilig ist es mir nie geworden, und ich gebe gerne zu, die präsidiale Rolle hat mir ausgezeichnet gefallen.

Wer die Vielfalt der Schweiz und die Menschen liebt, kann gar nicht anders. Fast täglich fand ich mich in einer anderen Landesregion, referierte auf meiner «Tour de Suisse» in Hotels, Konferenzräumen und Festhallen und bin dann immer gerne wieder zurückgekehrt zu meinen Wurzeln ins Entlebuch. Das hat mitgeholfen, die Bodenhaftung auch im Präsidialjahr nicht zu verlieren. Ich habe viele Höflichkeitsbesuche ausländischer Gäste empfangen, erklärte ihnen die direkte Demokratie, was dort nicht selten Erstaunen auslöste – und bei mir die ohnehin schon ausgeprägte Begeisterung für unser ausgeklügeltes politisches System noch steigerte.

Die Stimme des Gewerbes vertreten

Etwa 20 Parlamentsdelegationen aus aller Welt und ein gutes Dutzend in Bern akkreditierte Botschafter von verschiedenen Staaten waren bei mir zu Besuch. Mit den Chefs aller sieben Fraktionen und meinem Vizepräsidenten war ich eine Woche in Dänemark und Norwegen und habe dort Gespräche mit Parlamentariern und Regierungsvertretern geführt. Im Herbst führte mich eine kurze Reise zu den dortigen Parlamentspräsidenten nach Liechtenstein, Österreich und Deutschland.

Mehrmals wurde ich gefragt, was ich in diesem Jahr für das Gewerbe, im Speziellen für die Schreiner bewirken konnte. Solche Erwartungen sind durchaus berechtigt. Man muss dann relativieren, dass ein Präsidialjahr nicht ausschliesslich für die eigene Klientel genutzt werden kann. Als Präsident ist man ein Jahr lang Botschafter der Eidgenossenschaft und kommt sehr viel mit den Bürgerinnen und Bürgern aus allen Gesellschaftsschichten in Kontakt. Das ist eine schöne Aufgabe, und ich habe sie gerne wahrgenommen. Dabei habe ich nie ver-hehlt, sondern im Gegenteil ganz bewusst darauf hingewiesen, dass ich Schreinermeister und Unternehmer bin, zwei Dutzend Lehrlinge ausgebildet habe und dass die Schweizer Volkswirtschaft von über 300 000 KMU getragen wird.

Ein Bekenntnis für unser Bildungssystem

Bekanntlich liegen mir unser duales Bildungssystem und die berufliche Weiterbildung besonders am Herzen. Da kamen die Swiss Skills im September in Bern gerade recht. Dort hatte ich an mehreren Auftritten Gelegenheit, auf die Vorzüge unserer Berufsbildung hinzuweisen. Diese Botschaften habe ich gerne und mit Überzeugungen in die Eidgenossenschaft hinausgetragen. Und wenn das einigermassen gelungen ist, freut es mich im Nachhinein. Umso mehr freut es mich, dass der VSSM die am 1. Januar 2015 beginnende neue vierjährige Legislatur ganz unter das Hauptthema Bildung gestellt hat.

An den Schluss meiner Amtszeit als Nationalratspräsident passt ein Zitat des französischen Philosophen Jean-Baptiste Massillon: «La gratitude est la memoire du cœur.» Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens. Ja, ich konnte mich stets auf die Unterstützung und das Wohlwollen sehr vieler Mitmenschen verlassen. Das im Besonderen auch beim VSSM: Auf meine beiden Vizepräsidenten Edgar Odermatt und Thomas Iten, Direktor Daniel Borner, die Kollegen im Zentralvorstand und in der Präsidentenkonferenz, die Geschäftsleitung und das Personal unseres Verbandes. Dafür bin ich von Herzen dankbar.

Möge auch das neue Jahr für die Eidgenossenschaft, für unser Land und Volk ein gutes werden. Ich wünsche Ihnen allen ein frohes, friedliches Weihnachtsfest und viel Glück und Segen im neuen Jahr.

, Ruedi Lustenberger, VSSM-Zentralpräsident

Veröffentlichung: 18. Dezember 2014 / Ausgabe 51-52/2014

Artikel zum Thema

18. Dezember 2025

«Harmonie ist nicht immer zielführend»

Interview.  Seit sechs Monaten ist Jürg Rothenbühler im Amt als neuer Zentralpräsident des VSSM. Im Gespräch zieht er eine erste Zwischenbilanz. Der Branchenverband werde in der Branche selbst zu wenig wahrgenommen; daran will er im nächsten Jahr substanziell etwas ändern.

mehr
11. Dezember 2025

Verhandeln wie die Profis

Sektion AArgau.  Bei Preisverhandlungen geht es nicht allein um den Preis, sondern vielmehr auch um den wahrgenommenen Wert. Das lernten Aargauer Schreinerinnen und Schreiner am Themenabend in Leibstadt.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Verbandsinfo